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Tagesbrigade aus dem Nassdienst Brikettfabrik 65 am 30. März 1993.
Foto: Christina Glanz

Fotografien vom Ende der fossilen Energiegewinnung

„Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen…“

In über 90 Fotografien zeigt die Fotografin Christina Glanz unter anderem Porträts von Kohlewerkern in Lauchhammer (Niederlausitz), auch in Momenten, nachdem sie (1993) ihre Kündigung erhalten haben, sowie Gruppenfotos von Arbeiterinnen und Arbeitern unmittelbar nach ihrer letzten Schicht (1992 –1994). Es sind kraftvolle Fotografien, die unter die Haut gehen, Zeugnisse vom Ende der fossilen Energiegewinnung, und doch stehen sie für einen Neuanfang. Auf dem Gelände der ehemaligen Brikettfabrik 69 entstanden 2001 neue Fabrikanlagen für Rotorblätter von Windanlagen. Nach deren Schließung im Jahr 2022 übernahm ein chinesischer Batteriehersteller für E-Autos das Areal. Von der Kohle über Windkraft bis zur Elektromobilität: Brandenburg ist als Energiestandort im ständigen Wandel. Wir sprachen mit der Fotografin Christina Glanz über ihre bislang umfassendste Einzelausstellung und ihr beeindruckendes Langzeitprojekt.

Christina Glanz ist eine zarte Person. Man würde sie nie mit der Braunkohle verorten. Und doch schuf sie genau dort ein beeindruckendes Zeugnis vom Ende der fossilen Energiegewinnung in der Niederlausitz, einer Hochburg der Energieversorgung der DDR. „Mit der Kohle hatte ich beruflich eigentlich nichts zu tun“, erzählt sie. Als Architektin plante die gebürtige Thüringerin, die heute in Oranienburg lebt, erst den Berliner Stadtteil Marzahn mit, ehe sie 1976 eine Aspirantur im Fach Fotografie an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee anfing. Sie wurde in den Verband Bildender Künstler der DDR aufgenommen und arbeitete in der Folge als freischaffende Fotografin. Das Lauchhammerwerk beauftragte sie mit Aufnahmen von der Herstellung von Geräten für die Kohleförderung und von ihrem Einsatz im Tagebau. Die Brikettfabriken nahm sie nur im Vorbeifahren und durch die Gerüche der Kokerei wahr. Dann kam der Zusammenbruch der DDR, auch ihre Arbeitswelt veränderte sich. Aufträge fielen weg, eine ABM folgte, aber da war der Wunsch: „Du musst jetzt fotografieren, was los ist.“
Stromnetz Grafik

Fotografin Christina Glanz
Foto: Uwe Tölle

Festhalten, was passiert

Sie wollte durchs Land reisen und alles festhalten. „Sie müssen nicht weit weg. Hier in Lauchhammer passiert gerade etwas ganz Entscheidendes“, bekam sie als Rat. Sie recherchierte, holte Genehmigungen ein, suchte Mitstreiter und bekam schließlich Zugang zu den Brikettfabriken und zur Kokerei. „Ich bin an jedem freien Samstag, Sonntag, an Ostern und Pfingsten hingefahren und habe fotografiert. Ohne Auftrag, aber mit viel Energie“, sagt sie. „Ich habe einfach beobachtet und dokumentiert.“ Sie lernte die Menschen hinter den kohleverschmierten Gesichtern und bunten Kopftüchern kennen und diese wiederum die Fotografin. Vertrauen entstand. Das wurde die Basis ihrer unverfälschten Momentaufnahmen.

Die Kündigungen 1993.
Foto: Christina Glanz

Tag der Kündigungen

Wie die Fotos vom 28. Januar 1993. An den Donnerstag kann sich Christina Glanz noch gut erinnern. Sie war, wie so oft, an einem ihrer freien Tage auf Foto-Streifzug in Lauchhammer. „Eine Arbeiterin kam aufgeregt auf mich zu und sagte: ‚Ich habe gerade meine Entlassungspapiere bekommen.’“ Christina Glanz suchte sofort das kleine Büro vom Meister auf. Dort stand ein Karton – voller Entlassungsbriefe. Sie fragte: „Kann ich fotografieren?“ Viele Kohlewerker stimmten zu. Sie drückte auf den Auslöser, kurz bevor die Arbeiterinnen und Arbeiter das Büro mit der Kündigung in der Hand verließen. Es sind die vielfältigen Emotionen auf den Gesichtern, die sie für immer mit den Fotos bewahrte: Angst, Verunsicherung, Stolz, Hilflosigkeit. Es entstanden über 50 Aufnahmen, 28 davon (die Hälfte zeigt Frauen) finden sich in der Ausstellung in Potsdam wieder.

Bis in die 2000er Jahre ließ Lauchhammer die Fotografin nicht los. Sie war bei der letzten Schicht dabei. Auch als ehemalige Kohlewerker weiter in „ihre“ Fabrik kamen, nun beschäftigt im Rahmen des Braunkohlesanierungsprogramms, um ihre eigenen Fabriken abzureißen. Zuletzt porträtierte sie in den Jahren 2002 – 2004 Jugendliche, und damit Kinder und Enkel derer, die zehn Jahre zuvor ihre Arbeit verloren hatten.

Die Ausstellung „Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen…“ läuft bis 24. März im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, Am Neuen Markt 9.

Geöffnet:
Di/Mi 11 – 18 Uhr, Do 11 – 20 Uhr, Fr – So sowie an Feiertagen 11 – 18 Uhr.
Eintritt: 7 €, erm. 4 €, freier Eintritt bis 18 Jahre, Schüler, Studenten und Auszubildende.

+++ Verlosung +++

44 Euro
Verlag Hatje Cantz
ISBN: 978-3-7757-5549-8

Zur Sonderausstellung erschien auch das gleichnamige Buch „Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen …”. Neben den Fotos finden sich Interviews der Fotografin mit Arbeiterinnen der Brikettfabrik. Die SWZ verlost ein Exemplar.

Senden Sie eine E-Mail mit dem Stichwort „Kohle“ an SWZ@spree-pr.com.

Veranstaltungen zur Ausstellung

Do, 7. März 2024, 18 Uhr

Buchvorstellung „An den Rändern taumelt das Glück. Die späte DDR in der Fotografie“.

Sa, 16. März 2024, 15 Uhr

Ort: 01979 Lauchhammer, Kantinenfest – Abschlussveranstaltung zur Ausstellung, Jugendliche aus Lauchhammer kommen mit ehemaligen Kohlewerker:innen und anderen Porträtierten zu einem „Kantinenfest“ zusammen, bei dem gemeinsam gekocht, gegessen und erzählt wird.

Do, 21. März 2024, 19 Uhr

Ort: Kino im Filmmuseum Potsdam.
Film „Winter Adé“
(Dokumentarfilm, DEFA 1988, Regie: Helke Misselwitz).
Anschließend: Filmgespräch zwischen der Regisseurin Helke Misselwitz und Dr. Annette Schuhmann, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam.

So, 24. März 2024, 14 Uhr

Finissage, Ausstellung „Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen …” – Christina Glanz. Fotografien einer Transformation.